Die Auferstehung mit Freude verkünden

Serbske Nowiny - Předźenak18. April 2019


Fotos: Karsten Nitsch - Spreefotograf

Die Tradition des Ostersingens ist dank der jungen Generation im Schleifer Kirchspiel weiterhin lebendig

Früh um 5 Uhr, kurz vor Sonnenaufgang, versammeln sie sich in der Schleifer Kirche. Die Frauen und Mädchen in der Halbtrauertracht der evangelischen Sorben um Schleife verkünden symbolisch an den Singebänken die frohe Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi. Immer wieder singen sie die Choräle, die Osterlieder über die Auferstehung im Schleifer Sorbisch, wie „Na prěnim dnju po soboće“. „Die Tracht muss stimmen. Dazu gehören der grüne Rock, die weiße Schürze, die dicke schwarze Jacke, die grüne Haube, die weiße Kinnschleife, das schwarze Wolltuch und das schwarze Band als Zeichen der Trauer in der Fastenzeit. So sieht die über Jahrhunderte weitergegebene typische Halbtrauertracht bei uns im Schleifer Kirchspiel aus“, erläutert Elvira Rathner, Mitglied des dortigen Kólesko-Vereins. Seit 2014 pflegt der Verein die Tradition des Ostersingens.
„Wann der Brauch überhaupt entstanden ist, das lässt sich nicht genau nachweisen“, sagte der Kólesko-Vorsitzende Hartmut Hantscho. „Fakt ist aber: Das Ostersingen stammt aus der Zeit der Feld- und Flurumgänge. Es ging um das Umschreiten und das Abstecken der Felder. Zum ersten schriftlichen Nachweis über die Festlegung von Flurgrenzen im Schleifer Kirchspiel kam es 1864 im Rahmen der Regulierung von herrschaftlichen und bäuerlichen Besitztümern zwischen dem Besitzer von Muskau und den Bauern aus Schleife.“

Das Singen, betont Hartmut Hantscho, ist nicht nur für Ostern typisch, sondern für das ganze Kirchenjahr. Zu zahlreichen Anlässen haben die jungen Mädchen gesungen. „Das fing mit der Passionszeit an, ging mit Osten weiter und reichte bis zur Spinte im Herbst“, erklärte Elvira Rathner. „Zu Hochzeiten, bei der Feldarbeit, bei der Ernte, aber auch bei Trauerfällen wurde gesungen.“ Das Singen hat etwas tief Religiöses und Verbindendes. Davon zeugt auch die Tradition des Ostersingens. Matej Handrik, von 1892 bis 1934 Pfarrer in Schleife, hatte um 1900 darüber geschrieben. Mit 18 Jahren, so notierte er, traten die jungen Frauen der Singe-Gemeinschaft im Dorf bei und mit 28 verließen sie sie wieder. „Nicht Ehrbare“, zum Beispiel, die ein uneheliches Kind hatten, durften nicht mitsingen. In allen Dörfern des Kirchspiels war der Brauch des Ostersingens fest verankert. Es gab festgelegte Strecken und eine genau bestimmte Liederabfolge. Von Mitternacht bis zum frühen Morgen sangen die jungen Frauen vor jedem Haus. An den Singebänken hielten sie zum Abschluss an. Dort wurde das Ostersingen traditionell abgeschlossen. „Jedes Dorf hatte seine eigenen Singebänke“, erzählt Hartmut Hantscho. Nur in Schleife hatte es – weil der Ort so groß war – zwei kleine und zwei größere Gruppen
gegeben. Jede Gruppe wurde von einer Kantorka angeleitet. Das war die Frau, die am besten singen und die die Lieder anstimmen konnte und die in den Texten Sattelfest war.“ Bis 1956 – mit Unterbrechungen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren - war der Brauch des Ostersingens in Schleife lebendig. Die Einwohner haben sich immer auf die Sängerinnen gefreut. „Bei den Häusern, wo sich ein ´freudiges Ereignis´ ankündigte, wurde ein bisschen mehr gesungen. Und dort, wo es einen Trauerfall gab, wurde ohne Halleluja gesungen. So hatte es der Pfarrer Handrick dokumentiert.“

In Rohne wurde der Brauch 1993 wieder belebt. Die Initiative ging damals von der Lehrerin im Ruhestand Lenka Nowakowa aus. Zusammen mit 13 Frauen hatte sie im November 1990 die Gruppe Schleifer Kantorki gegründet. Von 1993 an haben sie alljährlich den Brauch des Ostersingens gepflegt. Vor rund 20 Häusern in Schleife und Rohne haben sie in der Osternacht gesungen. Kurz nach dem Verklingen der letzten Töne der Kirchenglocken begannen sie bei Karl-Heinz Lehnig zu singen. Am frühen Morgen beendeten sie das Ostersingen in Rohne an den Singebänken. Anschließend folgte immer die Auferstehungsfeier in der Rohner Friedhofskapelle. „Das Ostersingen ist ein lebendiger evangelischer Brauch. Mit den Osterliedern und Chorälen in der Schleifer Mundart verkünden wir die Botschaft über die ´wahrhaftige Auferstehung Jesu Christi´“, meint Gertrud Hermasch aus Rohne, Gründungsmitglied der Schleifer Kantorki und bis heute aktive Ostersängerin. Gemeinsam mit Elvira Rathner kümmert sie sich um die Lagerung der Schleifer Trachten und um das Ankleiden zum Ostersingen.

Gertrud Hermasch kennt den Brauch schon seit ihrer Kindheit. Als Fünfjährige hatte sie den Ostersängerinnen am Fenster stehend gelauscht und das hat sich tief in ihr Gedächtnis eingegraben. „Damals haben die Mädchen vor jedem Haus gesungen. Mitgesungen haben die Konfirmandinnen bis zu den Frauen kurz vor der Hochzeit“, erzählt sie. Auf eine gute Aussprache, die Sicherheit in den Melodien und ein sicheres Auftreten haben die Schleifer Kantorki immer viel Wert gelegt. Heute besteht die Gruppe leider nicht mehr. 2013 musste das Ostersingen wegen Krankheit und wegen dem kalten Wetter ausfallen. „2014 gab es nur noch vier Kantorki, die das Ostersingen durchführen konnten. Unser Kólesko-Verein hat sie mit drei weiteren Frauen unterstützt“, erinnert sich Elvira Rathner. Im Jahre 2015 haben neben den Erwachsenen zum ersten Mal auch vier Konfirmandinnen mitgesungen: Kimberly Stucka, Rebecca Friemel, Anna Berton und Rebecca Rathner. Die Pfarrerin Jadwiga Mahling hatte den Kontakt zu den Jugendlichen aufgenommen. „Dann stellte ich fest, dass sich etwas ändern muss, wenn der Brauch lebendig und für die junge Generation attraktiv bleiben soll.“ 2016 hatte es kein Ostersingen gegeben. Ein Jahr später wurde ein Neubeginn versucht.

Am Ostersonntagmorgen um fünf Uhr, kurz vor Sonnenaufgang, haben sich die Ostersängerinnen an der Schleifer Kirche getroffen. Dort, wo früher die Singebänke standen, sangen sie jetzt eine Stunde lang intensiv die Osterlieder und die Auferstehungschoräle. Mit Rebecca Rathner aus Schleife, Johanna Klauke aus Groß Düben und Leonie Wendel aus Rohne waren wieder drei Jugendliche dabei. „Dieser Neubeginn – der sich auf eine Stunde beschränkt – ist gelungen. Er war für uns sehr bewegend. Nach dem Ostersingen haben wir in der Kapelle in Rohne am Auferstehungsfest teilgenommen“, berichtet Elvira Rathner. Im vergangenen Jahr waren die genannten drei Jugendlichen auch wieder dabei. Mit Laura Berton aus Schleife gesellte sich ihnen sogar eine weitere Schülerin hinzu. „Der Kern des Brauches – die Verkündung der Auferstehungsbotschaft – bleibt erhalten. Mit dem einstündigen Singen an der Kirche können auch Interessenten das Ostersingen erleben.“ Elvira Rathner unterstreicht: „Es handelt sich aber nicht um einen öffentlichen Auftritt. Der Brauch ist nach wie vor eine stille Andacht zur Verkündung der frohen Botschaft der Auferstehung. Es ist mein Herzenswunsch, dass wir Erwachsene zusammen mit den Vorkonfirmandinnen den Brauch Jahr für Jahr weiter pflegen. So führen wir die Jugendlichen an die Tradition heran. Das Ostersingen soll für sie eine Ehre und etwas Würdevolles sein.“ Noch in diesem Jahr will der Kólesko-Verein gemeinsam mit der evangelischen Kirchengemeinde Schleife ein Gesangbuch mit den Chorälen herausgeben. Es soll insgesamt rund 50 Choräle enthalten, unter anderem auch 15 Passions- und Osterlieder, die die Frauen dann an Ostern frühmorgens an der Schleifer Kirche singen können. Die Pfarrerin Jadwiga Mahling unterstützt die Bemühungen um die Fortsetzung dieser Tradition. „Wenn ich am frühen Morgen, wenn es noch dunkel ist, die Stimmen der Ostersängerinnen höre, dann beginnt für mich Ostern. Dieser Tag ist voll mit
Gottesdiensten und Begegnungen, aber die Inbrunst der Ostersängerinnen ist für mich die schönste Art der Verkündung der Osterbotschaft, so feierlich und bewegend“, unterstreicht Jadwiga Mahling. „Ich freue mich, dass sich jedes Jahr auch einige junge Mädchen dafür begeistern. Damit lernen sie zugleich die sorbischen Choräle ihrer Großmütter und sie pflegen diese Tradition weiter.“

Andreas Kirschke


Projekte

Das Ostersingen

Durch die Frauengesangsgruppe Slěpjańske kantorki wurde 1992 ein tief religiöser Brauch wieder belebt, der Mitte der 50er Jahren in unserem Kirchspiel zwar verschwand aber im Bewusstsein der wendischen Einwohner stets haften blieb.

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