Schleifer Sorbisch erklingt Osternacht in den Dörfern

Lausitzer Rundschau22. April 2014

Schleife. Vier Schleifer Kantorki und drei Frauen des Vereins "Kólesko" haben in der Osternacht die Botschaft von der Auferstehung des Herrn singend verkündet. Erstmals wurde der Brauch in Schleifer Sorbisch präsentiert.

Angestrengt schaut Gertrud Hermasch auf ihre Uhr. Es ist eine Minute vor Mitternacht. Wenige Augenblicke später beginnen die Glocken der Schleifer Kirche zu läuten. Sie verkünden das Ende der Passions- und den Beginn der Osterzeit. Das ist das Signal für die Chef-Kantorka. "Christ ist auferstanden", heißt es auf Sorbisch. Dann beginnen Gertrud Hermasch und sechs weitere Frauen vor dem Fenster der Schleifer Familie Lehnigk mit dem Gesang.

Die durchweg in der westslawischen Sprache vorgetragenen Choräle handeln vom Wunder dieser Osternacht. Unter dem Schein von Taschenlampen und Kerzen tragen sie die Frauen in ihrer Halbtrauertracht aus ihren Gesangbüchern vor. "Zum ersten Mal singen wir die Verse im Schleifer Sorbisch", erklärt Gertrud Hermasch. Bislang seien die Choräle auf Obersorbisch vorgetragen worden. Doch im Schleifer Kirchspiel ist bereits der Einfluss der Niederlausitz und damit des Niedersorbisch/Wendischen deutlich spürbar. Daraus resultiert der Schleifer Dialekt. "Wir haben die Texte ins Schleifer Sorbisch umgeschrieben", sagt Gesangsexperte Gerald Schön vom Verein "Kólesko". Und weiter: "So verstehen es die Leute besser."

Das weiß Korla Lehnigk, den die Ostersingerinnen als ersten besuchen, zu würdigen: "Einfach wunderschön." Gemeinsam mit seiner Frau steht der bekennende Sorbe, der im ersten Haus an der Neustädter Straße wohnt, kurz nach Mitternacht am Fenster und lauscht den fröhlichen Chorälen. Genauer gesagt: Das Paar singt teilweise mit. "Von Beginn an besuchen uns die Kantorki Jahr für Jahr in der Osternacht", erzählt der Senior. Das heißt, seit Anfang der 1990er-Jahre. Laut Lehnigk wurde aber auch früher bereits gesungen. "Und zwar in allen Dörfern der Umgebung. Das war so bis zur NS-Zeit."

Nach einer Viertelstunde, oder anders gesagt nach drei Chorälen mit jeweils drei Strophen, verabschieden sich die Singerinnen. Sie müssen weiter, denn 17 Familien in Schleife, Rohne, Groß Düben und Trebendorf warten auf sie. "Manchmal", so berichtet Gertrud Hermasch aus Erfahrung, "können sich die Leute nicht wachhalten. Dann ziehen wir weiter. Das kommt aber nur selten vor." Stattdessen würden die Kantorki zumeist voller Freude erwartet.

In diesem Jahr zählen vier Kantorki zum Kreis der Ostersingerinnen. "Verstärkung" bilden drei jüngere Frauen des Schleifer Traditions- und Brauchtumsvereins "Kólesko". Quasi eine "Co-Produktion", wie Gerald Schön schmunzelnd anmerkt. Der Künstler habe die ursprünglich obersorbischen Choräle in den Schleifer Dialekt übertragen.

Etwa eine Stunde vor Mitternacht hatten sich die Frauen bereits in der alten Rohner Schule zur Generalprobe getroffen. Die einzelnen Verse wurden dabei lediglich angesungen. Manchmal mischten sich ungewöhnliche Töne dazwischen. Meinten zumindest die Kantorki. "Das war bestimmt nicht richtig", glaubt Marie Hentschel aus Trebendorf. "Nein, nein, völlig korrekt. So war es richtig", entgegnet ihr Gerald Schön. Marie Hentschel ist mit ihren 82 Jahren die älteste noch aktive Kantorka. "Ich habe als junges Mädel bereits vor dem Krieg in der Osternacht gesungen", berichtet die sorbische Muttersprachlerin. Das typische rollende R in ihrer Stimme verleiht der Tierpflegerin im Ruhestand eine wunderbare Heimeligkeit. Musikunterricht habe sie indes nie genommen. "Alles selbst beigebracht", sagt Marie Hentschel.

Bis zum Morgengrauen ziehen die sieben Frauen singend durch die Dörfer. "Klar, dass uns irgendwann die Müdigkeit übermannt", weiß Gertrud Hermasch. Dagegen würden Kaffee und Tee helfen. Und natürlich der von Herzen kommende Dank der Besuchten. Auf den Rohner Singebänken im Njepila-Hof sowie mit einer Morgenandacht in der Kapelle des sorbischen Heidedorfes ende das österliche Singen. Auch im kommenden Jahr wollen die Kantorki wieder zu nächtlicher Zeit die Auferstehung verkünden. Allerdings plagen sie Nachwuchssorgen. Von einstmals 30 Frauen seien lediglich sieben übriggeblieben, nur vier konnten dieses Jahr mitsingen. Im Jahr 2013 musste das Ostersingen wegen des Schnees und aufgrund von Krankheit gänzlich ausfallen. "Es bleibt zu hoffen, dass uns dies nicht nochmal passiert", wünscht sich Gertrud Hermasch.

Torsten Richter / trt1


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Durch die Frauengesangsgruppe Slěpjańske kantorki wurde 1992 ein tief religiöser Brauch wieder belebt, der Mitte der 50er Jahren in unserem Kirchspiel zwar verschwand aber im Bewusstsein der wendischen Einwohner stets haften blieb.

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